FC St.Gallen
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Deutschland? Die Schweiz? Gestatten, Corsin Konietzke: Das ist die Geschichte des 18-jährigen Rohdiamanten aus Igis, der gerade die Grünweissen so sehr verzückt
Niklas Thalmann
Der junge Bündner startet beim FC St.Gallen im Moment durch – und lässt träumen. Von den Kindheitswünschen eines Riesentalents, das die Nationalmannschaft wählen kann. Und vieles «cool» findet.
Christian Brägger
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Zu Beginn korrigiert er den oft gehörten Fehler gleich selbst: «K-o-n-i-z-k-e» spricht man seinen Nachnamen aus. Kurze Zeit später, das Gespräch ist noch jung, da sagt Corsin Konietzke: «Die Gedanken habe ich mir auch schon gemacht. Ich weiss es wirklich nicht. Deutschland ist cool, aber im Moment fühle ich mich am richtigen Platz in der Schweiz, und wohl hier in der Nachwuchsauswahl.» Es ist die Antwort des Doppelbürgers auf die Frage, für welches Land er sich entscheidet, wenn es dereinst zu einem Aufgebot für ein A-Nationalteam kommt.
Seine Sätze haben etwas Beiläufiges, aber auch etwas Reflektiertes. Sie sind ein Mix aus Selbstbewusstsein und Verlegenheit. Im vergangenen EM-Sommer hilft er ja auch beiden Nationen, als sie in der Gruppenphase aufeinandertreffen. Und kann mit dem 1:1 bis heute gut leben.
Corsin Konietzke ist gerade in vieler Munde, und nicht erst seit der Torpremiere beim 2:2 im Europacup gegen Backa Topola ruhen auf ihm die grünweissen Hoffnungen. Weil es schon länger heisst, dass da ein verheissungsvolles Talent nachrückt. Und es mit jeder weiteren Einsatzminute auch tut.
Im FC St.Gallen ist es jedenfalls selten der Fall, dass einer aus dem eigenen Nachwuchs solche Wellen schlägt. Diese sind in der Ostschweiz dann schnell einmal höher, weil hier alles schlagartig emotionaler wird. Der bislang unübertroffene Tranquillo Barnetta ist in bester Erinnerung, Michael Lang ebenfalls, auch ein Leonidas Stergiou. Wie schon gesagt, Topshots im Fussball aus dem östlichen Landesteil sind nicht häufig. Geschweige denn aus dem Bündnerland, da sind sie einzigartig.
Gemach, gemach, mag man nun einwenden. Gewiss. Sowieso ist es noch ein langer, harter Weg. Dazu gibt es ein Meer von Unwägbarkeiten, und trotzdem prophezeien nicht wenige aus dem Klubumfeld dem erst 18-Jährigen eine grosse Karriere. Die Bundesliga liegt drin, heisst es. Die Schweizer A-Nationalmannschaft ebenfalls. Aber das Herz schlägt halt auch für das Nachbarland, wie Konietzke sagt, seit er denken kann insbesondere für Bayern München – dort war früher Bastian Schweinsteiger der Liebling, und jetzt ist es Joshua Kimmich.
Schweinsteiger und Kimmich als Vorbild
Da passt das Fifa-Spiel ganz gut, das auf der Playstation an diesem Nachmittag zum Warmlaufen dient. Konietzke nimmt natürlich die Bayern, gegen die AC Milan liegt er schnell vorne. Zeigt, ganz abgebrühter Zocker, kaum Emotionen. Weil für ihn klar ist, dass er gewinnt. Dabei erzielt er die Tore quasi im Vorbeigehen, zur Pause steht es 3:0, am Ende lässt er gentlemanlike den Ehrentreffer zu.
Augenfällig ist der Cut in seinem Gesicht oberhalb der rechten Wange. Zugezogen hat ihn sich Konietzke als Bub beim Versteckspiel im Wald der neuen Heimat, als er über eine Wurzel stolpert. «Narben machen doch interessant. Ich war schon früher hart im Nehmen.» Die alte Heimat, sie ist in Deutschland. Konietzke ist in Schwäbisch Hall geboren, der Vater stammt aus Baden-Württemberg und arbeitet bis heute dort. Als die Eltern sich trennen, zieht der vierjährige Corsin mit dem jüngeren Bruder und der Mutter, einer Churerin, nach Igis bei Landquart.
Nahe der Grenze zum Kanton St.Gallen bekommt Konietzke eine gutbehütete Kindheit und bald noch eine Halbschwester. In der Schule ist er unauffällig und bei den Leuten. Den leiblichen Vater sieht er oft, bis heute ist das Verhältnis eng. Dafür wird zu Hause das Essen ständig kalt, weil der Knabe zu lange auf dem Bolzplatz bleibt. Schon zu jener Zeit ist Corsin nie ohne Ball unterwegs, bei der Oma in Deutschland muss stets die Garage als Tor herhalten. «Kaputtgegangen ist nie etwas», sagt er, «sogar unser Opa spielte zu meiner Freude manchmal mit».
Das grosse Heimweh nach dem Wechsel
Nach den Juniorenjahren mit dem FC Landquart und dem Team Südostschweiz, das zu Future Champs Ostschweiz gehört, folgt 14-jährig der Übertritt zum FC St.Gallen. Der Schritt bereitet ihm anfänglich Mühe. In der Akademie ist der Bub zwar gut aufgehoben, aber das Heimweh plagt, er vermisst Mutter, Geschwister, den Papa und Stiefpapa. Und lernt sich durchzubeissen, beendet die Sekundarschule im Talentcampus und startet die United School of Sports mit der KV-Lehre im FC St.Gallen. «Cool» findet Konietzke sie, «sehr cool sogar».
Vor dem Treffen ist der Auszubildende damit beschäftigt, Stadiontouren zu planen und das Setting für die Einlaufkinder festzulegen. Ein grosser Vorteil sind die kurzen Arbeitswege, auch ist stets das Verständnis vorhanden für Trainings oder Absenzen mit den Schweizer Nachwuchsauswahlen, wo er in der U19 zuletzt einmal gar der Captain ist.
Derweil legt Konietzke im Fussball eine rasante Entwicklung hin. Mit 16 Jahren kommt er für die U21 des FC St.Gallen und im Frühsommer 2023 für die Schweizer U17 an der EM-Endrunde in Ungarn zum Einsatz. Und es ist nach dem Trainingslager («dort war ich anfänglich so nervös») mit der ersten Mannschaft in Spanien, als er am 31. Januar sein Super-League-Debüt hat. Gegen Servette ist das, ein Flutlichtspiel, ausverkauftes Haus. Die Rückennummer 63 wird ihm zugeteilt, er mag sie und sagt natürlich: «Der Abend war ein prägender Moment.» Das Trikot schenkt er hernach der Mutter, sie strotzt vor Stolz.
Seine deutsche Beratungsagentur, die etwa Goalie Manuel Neuer vertritt, hat es in sich. Gibt es also die Hoffnung auf die Bundesliga? «Im Traum gewiss. Träumen darf man gross, aber ich bin im Hier und Jetzt und konzentriere mich auf den Moment», sagt Konietzke. Für diese Momente hat das Leben in der Akademie sein Gutes, zumal viele Nachwuchsspieler in ähnlicher Lage sind und den intensiven Reifeprozess gemeinsam durchlaufen. Oft tauschen sie sich in tiefgehenden Gesprächen aus. Die «deep talks», wie sie Konietzke nennt, drehen sich wieder und wieder um Fussball, um das, was es in diesem Beruf braucht und was sein kann.
Diesbezüglich erhält der junge Bündner einstweilen Klarheit, als er diesen Sommer den ersten Profivertrag bis 2028 mit dem FC St.Gallen unterschreibt. «Ein Kindheitswunsch und der nächste Schritt», sagt er ehrfürchtig – endlich zahlen sich Mentalcoach und die zusätzlichen Krafttrainings aus.
Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis er in der Super League in der Startelf steht. Gegen Lugano ist es am 1. September so weit. Eine Riesenehre und nochmals etwas anderes, als einfach reinzukommen. Weil man unbedingt zeigen will, dass man der Aufgabe gewachsen ist. So erzählt es Konietzke, der im Mittelfeld jede Position spielen kann, auch hinter den Spitzen als Zehner. Hauptsache, Trainer Enrico Maassen setze auf ihn, sagt Konietzke, der im Kopfballspiel zulegen muss. Dafür mit Spielverständnis, Raumgefühl, Übersicht, Technik wie Passqualität zu überzeugen weiss. Stichwort Instinktfussballer.
«Kusin» oder «Coco» – und auf dem Boden bleiben
«Coco» nennen ihn einige aus dem Umfeld, Kevin Csoboth sagt «Kusin» zu ihm. Konietzke sagt schelmisch, dass der eng befreundete Mitspieler, mit dem er sich das Zimmer teilt, seinen Vornamen nicht richtig aussprechen kann. Ohnehin fühlt er sich im «Eins» gut aufgehoben, auch schauen die Alten wie Lukas Görtler, dass der ungeschliffene Diamant aus Igis mit den Füssen auf dem Boden bleibt. Hierzu hilft Konietzke auch der bündnerisch unaufgeregte Charakter. Obschon sein Dialekt zum Leidwesen der Mutter längst den Kanton gewechselt hat.
Wie sagt Maassen? «Ich bin sehr glücklich, ihn in meinem Team zu haben.» Konietzke freut sich, dass es von allen Seiten Lob gibt. «Aber davon kaufen kann ich mir nichts», lacht er demütig. Schon klar. Auf den 18-Jährigen wartet ja noch ein Meer von Unwägbarkeiten.
Der FC St.Gallen im Schweizer Cup
Ziel in Bellinzona ist der Viertelfinal
Im Eishockey ist Bellinzona abgeschlagen Letzter der NLB. Etwas besser steht in der Challenge League der Fussballklub der zweitgrössten Stadt im Tessin da. Natürlich ist heute Abend ab 20.30 Uhr der FC St.Gallen im Achtelfinal des Schweizer Cup bei Bellinzona der Favorit.
Enrico Maassen sagt: «Wir werden für den Cupfight bereit sein.» Neben den länger Verletzten muss der St. Galler Coach neu auf Noah Yannick (gesperrt) und Abdoulaye Diaby (Knie) verzichten. Derweil sind Jozo Stanic, Chima Okoroji, Chadrac Akolo und Bastien Toma angeschlagen. (cbr)
Mögliche FCSG-Formation
Zigi; Vandermersch, Ambrosius, Vallci, Faber; Görtler, Quintillà, Konietzke; Mambimbi, Cissé, Witzig.
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